Ein
Wintermärchen
Perlgrau schwimmt der Tag dahin ...
Und verdumpft räkelt stumpf sich ein Restlicht hervor.
Du witterst vernehmlich den Frühlingsbeginn,
Bemehlst Dich mit Eindrucksbestärkungsdekors –
Hörst Dein eigenes Bibbern, der Schneefräsen
Röhren,
Doch nichts von dem kann Deinen Glauben zerstören:
Die Glut Deiner Verve ließe Eisschichten springen.
Nicht heute, nun gut, aber bald wird's gelingen!
Wenn wir den Gefrierpunkt erst hinter uns lassen,
Veredeln die Welt wir mit lustvollem Prassen!
Bis dahin wird halt unverzagt
An Birkenrinden rumgenagt.
Aber zwei Tage später ist immer noch Winter –
Dein Frühlingsbeginn ein nur nassforsch entsinnter.
Schon türmen sich die Anheizkosten –
Kaltlufteinbruch aus Nordosten –
Sperrig herrschen ohne Gnade
Nie entschärfte Minusgrade.
Es liegt an der kränkelnden Drehung der Welt,
Dass sich diese Kälte grad derart lang hält!
Du durchforstest nach allen erwärmenden Spuren
Den Nachtfrost und Vortageshöchsttemp'raturen –
Und schläfst dann mit dem Wissen ein:
Schon morgen wird es besser sein.
Doch zwei Monde später ist immer noch Winter –
Und Kälte ist in Deine Knochen gekrochen.
Die Schneeweh'n durchleiden Dich jahreszeitblind, argh –
Frostig erstarrt harrst Du nun schon seit Wochen.
Du wetterst, dass all dies das alles nicht darf!
Und Du bettest Dich rettend in Spätwinterschlaf ...
Aus all Deinen Zellen stöhnt Wetterschikane,
Dringt Stoff für Novellen, vielleicht auch Romane –
Jedenfalls ein Projekt – das erfüllt Dich mit Sinn!
Und so dämmerst Du kühl über Wochen dahin ...
Du wachst auf, es ist Juni – und immer noch Winter.
Dennoch stell'n die im Hausflur das Grillfleisch bereit –
Entrüstet beschwerst Du Dich: "Hey, seid ihr blind, da?!"
Deinem Schlottern trotzt spottend die Leichtgläubigkeit.
Und derweil späte Reife die Scheiben beeisen,
Siehst Du Deine Nachbarn zum Ostseestrand reisen.
Die lassen sich von den Kalendern betrügen!
Dir schaudert's, verschnupft und erkältet vom Welthass
–
Du postest: "Das Wetter verbreitet nur Lügen!"
Und niemand versteht's, aber allen gefällt das.
Auch wenn manche Abfuhr Dein Leben beschattet,
Der Aufruhr in Dir weder stirbt noch ermattet.
"So wähl' ich denn eben den ewigen Kummer –
Doch leg' ich mich aufrecht zu seligem Schlummer!"
Du wachst auf, es ist Sommer – und immer noch Winter.
Die Vorräte sind aufgebraucht.
Du schreibst wieder, Text heißt Mein Lebensgeschwind
– "Ja ...",
Raunt nickend ein Juror, nickt nochmals und raucht.
Und schmerbäuchig näh'rt sich die
Gerwärmanistik,
Bestaunt Deine Kunst, schwärmt von Arktik-Artistik –
Dir Geweihtem verleiht man gleich weitere Grade,
Verleitet zu lauwarmem Vollwannenbade.
Und umschlossen von Schaum lauscht man Deinen Berichten –
Plötzlich komm'n sie in Scharen, um Dich zu versteh'n
–
"Im folgenden Text geht's um Wintergeschichten" –
Das Leidende soll sich im Bleibenden dreh'n.
So geht es Dir fortan ums Statuserhalten –
Der Pontius muss als Pilatus erkalten.
Nur nächtens im Traum rennst Du nackend zum Strand,
Und Du machst Dich mit anderen Pimmeln bekannt,
Bevor Du die Touristen disst,
Welch purer Mist ihr Dasein ist!
Und mit wonniger Häme drückst Du runden Buben
Die Sonnencreme aus den Tuben.
Ausdrucksstark machst Du ihnen dann klar,
Dass das für Dich kein Sommer war –
Dass so 'ne brandgegerbte Haut
Nur faul verfärbt und grau ausschaut!
All den Sonnenanbetern verpredigst Du Regen –
Und endlich, ja, endlich wird sich was bewegen!
Du wachst auf, im Oktober, um kleinlaut zu schrei'n,
Nun dürfe es durchaus auch winterlich sein.
Der Spätsommer glüht in Dein schneeweißes
Haar –
Du schaust auf ein vollends verlorenes Jahr,
In dem Du, ganz einfach zusammengefasst,
Zu viel von den schöneren Tagen verpasst.
Und käm' morgen der Umschwung zur Normalität
–
Für Dich, Jung', wär's jetzt schon ein Leben zu
spät!
Du setztest manches rechte Wort
Zu oft an völlig falschen Ort –
So stirbst Du in Verbitterung
Und schiebst es auf die Witterung.
Du wachst auf – schließt die Augen, denn Du
weißt: Es ist Winter.
Verhärmt weilst Du im Permafrost.
Du weißt, wie es endet und wo es beginnt, klar –
Doch Anstrich von Reife ist manchmal nur
Rost.
-
neuntes Gedicht/Aufnahme 2013-2014