Mein
Rad, Papaver und der Tann
Mohn, Cherie, und Vollmohnrausch!
Ein frisch enthüllter Blütenflausch,
Der Feldwegegräben träge umsäumt,
Derweil die Welt den Sommer träumt.
Auch ungezäumt spur'n unsre Drahteselstuten –
Wir sind, Caballeros, gebor'n um zu bluten!
Es herrscht die Ausgelassenheit
Mit präsidialer Freundlichkeit –
Greif' den Tag, greif' den Sommer, sei Adler, Du Hund!
Im Mohnschein zu radeln heißt Aufbruchszeit und
Wir sind jung – wiewohl schon angezählt.
Bald bist nicht mehr Du es, der aussucht und wählt!
Drum bleibe, so lang man Dich hier toleriert –
Im Tann drüben, hört man, sei Schlimmes passiert?
Schon im Feld setzt es stets die entsetzlichsten Prügel,
Verletzen dich grässliche Schmetterlingsflügel,
Die unbedacht flatternd die Lüfte zerhacken –
Ein Flügelschlag, ja, deshalb all diese Macken!
Nun, bis morgen verheil'n die verdächtigsten Schrammen
–
Ein Kindheitsidyll lügt sich einfach zusammen.
Doch einer von uns teilt heut mit Verzweiflung sein Zimmer.
Wir war'n dumm, Kind, und dumm sind wir beide noch immer.
Mohn, Amie,
Sieh nur wie
Es nun suppt aus dem Feld,
Wie es ungestüm pumpt in die farblose Welt!
Ich folg' Deinem Rad, etwas neben der Spur,
Wo ein blütenblattwogend-drapierter Velours
Kredenzt uns den rotesten Teppich, mein Kind,
Der, VIP-frei belassen, schwimmt wippend im Wind.
Und borstig behaart winken knospende Schäfte:
Weiter, weiter, nie zurück!
Und kraftvoll besamt drängen Fruchtknotenkräfte
–
So radeln wir ratternd und klappernd ins Glück ...
Denn, hey, es ist Sommer, da zieht es uns raus,
Angefeuert vom flammenden Klatschmohnapplaus!
Wir wurden einst vom Mohn bestäubt –
Heimelig und klandestin –
Manch schmerzgewohntes Herz betäubt
Und selig berauscht von dem wärmsten Morphin
Im monoton zirpenden Grillengewimmer.
Wir war'n dumm, Kind, und dumm sind wir beide noch immer.
Wir fahr'n, ob unsrer Selbstsucht blind,
Durch sattrotglüh'nde Mohnlandschaft –
So rücksichtslos, wie Kinder sind –
In uns blüht schonungslose Kraft!
Unsre Stärke erwächst aus dem Fehlen der Gegner,
Und adressatenlos gellt unser "Ey, aus dem Weg, da!"
Wir trag'n kurze Buxen und niedliche Zöpfe –
Die Crux der erbärmlichsten Minigeschöpfe.
Wir sind jung, etwas hässlich und gerne gemein,
Und wir späh'n nach dem Schwächsten in unseren Reih'n,
Weil Übermut nach Vergewisserung giert!
Und im Tann drüben, sagt man, sei Schlimmes passiert?
Dort, wo keine Sonne den Boden erhellt,
Da haben wir Reiter ein Füchslein gestellt.
Und Niedertracht grätscht in die fliehenden Speichen
–
Dies Füchslein wird nicht mehr den Waldrand erreichen!
Nun gut, wir gewähten's ihm, irgendwann,
Doch sein Schweif schweift auf ewig durchs Dunkel vom Tann.
Der teilt heute Nacht mit Verzweiflung sein Zimmer –
Wir war'n dumm, Kind, und dumm sind wir beide noch ...
Auf dem Rückweg verführt uns Geschwindigkeitsrausch:
Wir schür'n die Pedal'n wie erzürnte Berserker!
Da flüstert's aus dem Blütenbausch:
"Sperrt alle Kinder in die Kerker,
Die räudig böse Welpen sind,
Berauscht von Sonne, Mohn und Wind!
Junge Mäuler, aus denen die Tollwut schäumt,
Derweil die Welt den Sommer träumt."
All dies ist Lüge – den Geschichten entraubt!
Ihr habt das, Verzeihung, nicht wirklich geglaubt?
Papaverpalaver, Rhabarbergelaber,
Ein trauter Kadaver, der so niemals wahr war –
Wir leg'n in Monologen dar,
Dass selbst der Mohn erlogen war.
Und wir soll'n die Version dann noch zig mal erzähl'n,
Zum Ende uns zu 'ner Entschuldigung quäl'n ...
Seither
Sind sehr
Viele Sommer vergangen,
Und Reue und Trost aktivier'n wir heut schneller.
Es blieb bei der Wahrheit, zu der wir uns zwangen.
Und das treue Ross steht, unlängst rostend, im Keller.
Und wir
Steh'n im Leben, beschäftigungslos –
Ohne Druck auf die Frage: "Was mach ich heut bloß?"
–
Wir reden.
Reden Mietpreiserhöhung im Kiez, wo wir wohnen,
Reden nützliche Apps von Mobiltelefonen,
Reden Arbeitszeitkonten und Nasenhaartrimmer –
Wir sind dumm, Kind, denn dumm sind wir beide schon immer.
Und dann fiel da ein Wort, das das Gestern betraf –
Wir schau'n uns stumm, fast angstvoll an.
Ruhe sanft, Kind, schlaf', Mohn, schlaf'!
Wir kommen wieder, irgendwann,
Auf dem Rad
Durch das Feld
Und
Hinab in den Tann.
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siebtes Gedicht/Aufnahme 2013-2014