POETRY SLAM TEXTE UND VIDEOS VON 2008-2010

Frank Klötgen: Cindyrella

Cindyrella

Hellersdorf wird dunkler werden
Weil es nu' so is' auf Erden
So war das immer und endet nie
Für die prekariabele Peripherie
Dort, wo die Aschenputtel wohnen
Dort bimmeln tagtäglich die Jamba-Millionen
Doch sitzt es sich kläglich hier auf unsern Thronen
Denn wo ist hier so eine, wenn ihr wisst, was ich meine
Dann wisst ihr, ich meine so eine mit Haut
Weiß wie Schnee. Lippen
Rot wie Blut. Und Haare
Schwarz ... wie eben die St. Oberholzer iMac-Schnitten
Nie war'n und nie wer'n und sich trotzdem ausbitten
Ikonen des Geschmacks zu sein
Zeitgeistreich berufen – ich würd's nicht beschrei'n
Wie ihr euch hier eingebildet habt
Im Schaum der warmen Latten labt

Sicher, ihr seid die Schönsten hier
Aber die Flittchen hinter den Prenzlauer Bergen
Die versieben Karrieren, die für euch keine wären
Und Spieglein, oh Spieglein, was will uns das lehren?
Wir sind gewiss die Schönsten hier
Aber die sind noch tausendmal schöner als wir

Denn deren Glanz glüht nur für eine Saison
Die hyperbrillier'n und dann hat sich's auch schon
Weil ab da, da der Wandel zur Schwänin geschieht
Schon der erste Hauch Grazie dem Körper entflieht
Nichts kann ihres Anmutes Ausfaden stoppen
Und kein Aufschub lässt sich bei New Yorker ershoppen
Keine H&M-Erschwinglichkeit
Bewahrt ihn'n die Vollkommenheit
Denn bald luken aus all ihrer Antlitz' Ritzen
Die Zusatzstofffährten der Tiefkühlpizzen
Und vor Aldi-geadelten Burger-King-Schlössern
Schwing'n satte Prinzesschen sich von ihren Rössern
Statt der Entgaloppierten komm'n nun wir angetrabt
Unsre Zweite Wahl-Wunden sind auch schick vernarbt
Tja: Laptop, Top-Abi und Bio-Ernährung
Sind auf längere Ansicht die härtere Währung!"

Und sicher, wir sind die Schönsten hier
Aber die Flittchen hinter den Prenzlauer Bergen
Die versieben Karrieren, die für uns keine wären
Und Spieglein, oh Spieglein, was will uns das lehren?
Wir sind gewiss die Schönsten hier
Aber die sind noch tausendmal schöner als wir

Verweile Moment, derweil du so schön bist
Eh McKinsey die Reinheit der Blüte im Stil misst
Spann weit deine Flügel, umschwirr diese Wirrnis
Denn wenn schon zur Kirmes, dann bitte mit dir, Miss!
Von euch taugt und paukt sich hier keine zur Chefin
Ihr verschenkt euch an Justin und Mar- oder Kevin
Eingeschwängert von Jungs ohne wirklichen Namen
Gerbt euch derb in Solarien und fühlt euch wie Damen
Warum schreit hier kein Denkmale-Schützer Alarm
Warum denkt sich kein Schutzengel: "Herr, hab' Erbarm'!"
Müssen Weddinger Grazien so früh an sich scheitern?
Lässt sich aschengeputteltes Glück nicht erweitern?
Doch wär' ihre Schönheit nicht gar so arg rar
Schien' dann nicht die Reinheit auch weniger klar?
Denn vor all dem Verfall gefällt sie sich
Doch auch im Versprechen: "Ich halt' mich nicht ..."
Uns Holz hält – trotz aller Schnitzer – dagegen
Uns treibt Oberwasser, erteilt uns den Segen
Gewachst in Anti-Aging-Cremes
Mensch, Alter, dass'de dir nich' schäms'!?

Nun sind wir vielleicht die Schönsten hier
Aber die – war'n doch tausendmal schöner als wir!

Wo sind denn all die Cindys hin, die's
Dann diddlmausdösig verdaddelt ha'm?
Weil der'n Glut längst verglomm
Laufen Restakkus warm
Nur ihr Streben nach Schönheit stützt ihr Straucheln vorm Thron
Aber letztlich wirkt unsres Nests Gene-Ration
Nun noch ein Bachmannpreiswürdiger Name fürs Kind
Derweil die noch bei Lara und Benjamin sind
Die sind vielleicht tausendmal schöner als wir
Doch Kindchen, was zählt, ist:
Die da – und wir hier

So endet das immer – und endet doch nie
Für die prekariabele Peripherie


- neuntes Gedicht/Video 2008-2010



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