POETRY SLAM TEXTE UND VIDEOS VON 2008-2010

Frank Klötgen: Das verschissene Grün dieser Wiese

Das verschissene Grün dieser Wiese, Luise - oder: Die Niederkunft der Mücken
(gekürzte Slamversion, Stand 2016)

Wundbrandig laugt sich der Tag vor Erschöpfung
die Sonne verharrt wie gelähmt im Zenit
Alle Haut schreit nach Schatten
selbst Bäume ermatten
und du seufzt: Nu' werd' ma' nich' paranoid!
Doch die Niederkunft der Mücken naht
auch wenn uns die Sonne ihr Ewig verspricht
erbarmungslos heiter
denn die Zeit geht ja weiter
man weiß das, man ahnt das, man spürt es nur nicht
Wie der Tag sich auch spreizt im zähen Sterben
gewährt er dem schönsten Moment nur 'ne Frist
Dahinter glimmt bereits Verderben
drum erzähl doch nicht dauernd: "Wie schön es hier ist!"
Das verschissene Grün dieser Wiese, Luise
ich sag dir, das macht's nicht mehr gut
Nichts währt hier ewig
und unser Glück eh nich'
Vergiss es, Louise, sonst bin ich es, der's tut!
Lass uns Glasscherben fressen, so lang es noch geht
wenn das Flussbett sie stumpf wetzt, ist's dafür zu spät
Lass uns Luftröhren-röchelnd im Röhricht verbluten
Ab heute gewinnen hier nicht mehr die Guten
Von des höchsten Glücks Gipfel kann es nur noch bergab geh'n
von dem Wipfel der Welt lässt sich nur das Hinab seh'n
Und das verschissen-verbliebene Grün dieser Wiese, Luise, ist bald schon vergessen
Vertraulich beschauliche Horizontsülze ...
Vergiss es, Louise, lass uns Glasscherben fressen!
Und Glas und Glück und Glück und Glas...
Nee, spuck's wieder aus, hey, das war doch nur Spaß!

Lehn dich zurück in den Schoss jener Böschung
wo der Fluss ja noch immer die Kühle der Nacht hält
wo in unmerklich drängenden, zaghaften Strudeln
die wattigen Samen der Pappelbrut trudeln
Uns wird schwindlig und ich bin's, auf den der Verdacht fällt
Ja, du hast Recht, lass uns jetzt nicht mehr zanken
das einzig Verlässliche soll heut nicht wanken
Wir haben zu hoch angesetzt
uns darin wie auch sonst verschätzt
nun schockiert von der Fallhöhe solcher Gedanken
Und der Mückenschlupf krampft sich durch stille Gewässer
Du fragst, wie's mir geht, und ich lüg' und sag': "Besser."
Ich sprech' dir schnell nach: "Ja, noch ist nichts gescheh'n."
Und im Wasser werd'n wir unser Spiegelbild seh'n
Frier es ein, Luise, bewahr den Moment!
Ganz egal auch, wie stechend die Sonne heut brennt
Denn Eis und Feuer und Feuer und Eis ...
Ach, vergiss es, mein Herz, Mann, ich red' heut nur Scheiß!

Der Grund, dass ich letztlich so flüchtend verreiste
war das Grün dieser Wiese, Luise, weißte
Stimmt's dich heut noch verdrießlich?
Ich weiß, ich verließ dich
zu voreilig
weil ich
das Sterben mehr fürchtete als jeden Tod
Und vielleicht hast du Recht, noch bestand keine Not
Doch all diese Stiche! Und wer sagt, dass die weggeh'n?
Wie sollt' ich das Grün, nicht darunter den Dreck seh'n?
Sag nicht, ich hätt's mir leicht gemacht
Es fiel viel schwerer als gedacht
Bevor's losging, hab' ich schon vor Heimweh geschrien
dann mir selbst auch im Namen der Restwelt verzieh'n
Nun kannst du mit den in mir befindlichen Scherben
mit etwas Geschick noch das Flaschenpfand erben
Und verkäst entbläst sich Zahnsteinmuff
aus abgeschminkten Lippen
Die schmier'n mir da Autan-Brei druff
und auch den Gilb der Kippen
die wir damals rauchten
obwohl wir's nicht brauchten
in unseren Zeiten, den hippen ...
Doch der Welpenschutz war aufgebraucht
die Haut vom Tabak gelbgeschmaucht
Und Rauch und Schall und Schall und Rauch...
ließ ich all dies zurück, ja, und dich
eben auch

Und nun, nach der Stille, vernimmst du ein Sirren
erkennst, sonnendurchflutet, der Luftschwaden Flirren
Mag der Fluss auch inzwischen hier kanalisiert sein
am Ufer, an sonnigen Tagen, da wird ein
Spiegelbild erkennbar bleiben
wo wattig Pappelsamen treiben
dass unser Idyll kein Vergessen gefährde
wenn auch alles verrottet in flüchtiger Erde

Und du siehst ringsum: das Grün
spürst die Mücke, den Stich
Es ist fast so wie früher
Doch was zählt's noch für dich?

Du sagst: "Fleiß und Preis" und "Preis und Fleiß"
und "Ich vermiss' dich, du Arschloch!"
bis das Gras raunt:
Ich weiß


- viertes Gedicht/Video 2008-2010



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