POETRY SLAM TEXTE UND VIDEOS VON 2008-2010Frank Klötgen: Der PirolDer Pirol Wie wird's mir schwirr im Virtuellen!Die willentlich irren, verwirrenden Wellen des Wollens und Strebens und doch nicht Erlebens, des "Volle Kraft vor ..." Aus. Vergebens. Fragt's euch angesichts eurer Worte und Taten: Habt Ihr für ein Nichts euer Leben verraten? Doch auch wenn man vor Hunger vom Schein sich ernährt, das Leben wär' nichts, blieb' dies Nichts ihm verwehrt. Denn hätt' ich all das nie ersehnt, wie stumm wär' mir die Welt geblieben! Hab' mich doch kurz im Glück gewähnt und deshalb hab' ich's aufgeschrieben: Vollendete Anmut, grazil die Gestalt, nie zierten ein Antlitz solch ebene Züge: In Hiltintrud Florstein war jeder verknallt. Dies streite wohl ab, wer den Schutz einer Lüge für nötig befindet und sonst nicht verwindet den Verlust jener, dessen kein Trost je genüge. Stünd's in deiner Macht, Wind und Wasser zu lenken und wär's dein Befehl, der ins Erdensein dringt, wahrlich, ich würde mein Leben dir schenken, wenn zur Erlösung die Aussicht mir winkt', dass ein Lebenshäuchlein durchzuckt kurz ihr Bäuchlein, welches einen Moment sie dem Tode abringt. Nur: Nichts bringt die Edle mir Elenden wieder, der Zeit seines Lebens nie mehr denn der niederste Knappe der ihrer Verehrenden war und doch kam der letztlich Verwährten so nah. Als wandernder Gamer zog ich in die Welt und ward noch im Märzen des Schicksalsjahres bei Meister Florstein eingestellt, und nicht die Aussicht auf was Bares gab meinem Begehre die nötige Schwere, nein, Hiltintrud, die Tochter, war es. Ihr mögt es eine Torheit schelten, was mir als Sehnsucht widerfuhr, doch trenn'n auch zehn Level unsere Welten, mitunter zeigt sich eine Spur: Nicht mehr als ein Zwinkern, ein Plänkeln und Blinkern, ein Wink vom Durchweichen der Klassenstruktur. Bloß manchen Tags wünscht' ich, Ihr, Hiltintrud, hättet mich niemals bei MySpace und Facebook geaddet, worauf sich in mir erst die Witterung rührte, die uns in solch bittere Schicksale führte. Zunächst darbend verstrichen die Tage der Lehre, bis kurz vor Maien lag der Schnee, meine Topscores gereichten dem Meister zur Ehre, statt der Frustphasen taten die Frostblasen weh. Blieb jed' Joysticktriumph mir auch freudlos und dumpf, bald blickt' ich Fortuna ins Dekolletee. Denn der Mai zog der Ingrimm des Winters die Zähne, da perlte vom Garten herauf ein Gesang. Der Meister rief: "Ach, schau: Da springt meine Kleene! Ganz nackt – und das alles vor Sommeranfang!" Wie brannt's in den Händen, das Game zu beenden! Ich war schnell wie nie, brauchte trotzdem zu lang, so dass, als ich ans Fenster trat, besah nur, dass bereits der Garten entbahr des Anblicks Hiltintruds, dem Zeugnis ihres Übermuts. So ward ich zum Schnellsten meiner Zunft und Sommerklee bewuchs die Wiesen, ach, täglich warb die Unvernunft, Trudens Nacktheit zu genießen. Kaum, dass sie heransprang, ihr Stimmchen süß anklang, war mein Tagwerk vollbracht und ich an den Markisen. Der Meister lobte mein Talent, mein ohn' Tadel flinkes, präzises Geschick. Ich schlug jedes Game, das ein Sterblicher kennt und manch Konkurrent griff verzagend zum Strick. Denn was in mir gärte, mich gleichsam entleerte, trieb mich zur Macht am Joyenstick. "Dein Fleiß", sprach der Meister, "scheint unermüdlich! Doch für heut lass es gut sein, Bursch, und sei so gütig: Magst du meiner Tochter Gefallen bereiten, sie zur Abendandacht nach Milchbeuren geleiten?" Schnurstracks ergriff mich der Eifer der Ranz, schon schnürte ich Netzteil nebst Topflapp' ums Laptop, da schnurrte auch Hiltintruds Stimmchen: "Du kanns' dir ooch ma' beeil'n, du gameblöder Deppkopp! Beweg deinen Schlapparsch!" pfiff's Frollein zum Abmarsch. "Und hoff nich', dass ich je mit euch Affen vom Web popp!" Erschien zunächst roh mir die Wahl ihrer Worte und unangemessen die Wucht ihres Tritts, bald labt' ich mich an dem fortissimo Forte und schulterte gern sie im Huckepacksitz. Erklomm Hügel und Höh'n, unter Mühsal und Stöh'n und spürte im Nacken den zwickenden Schlitz. Mit hackenden Hacken gab sie mir die Sporen und zügellos zog sie am Zopf und den Ohren, sie rupfte vom Kopf mir die letzten Haare: Hiltintrud, die Wunderbare! Sanft nahm ich den Anstieg zum Birkenhain, durchrobbte die Furt unterm Dunkel der Tannen, da murrte mein Trudchen und drosch auf mich ein: "Genug, lass'ma runter, ick muss'ma entspannen!" Und in Hiltintruds Schrei'n pfiff ein Vögelein rein, hob keck noch das Köpfchen – dann flog es von dannen. "Dieser Piepmatz macht sich wohl über mich lustig?!" keifte die Schleifchengeschmückte vor Wut mit Furor in mein Ohr und in dem Moment wusst' ich: Nach solch einem Anpfiff fließt heute noch Blut! Noch gehabst du dich wohl, schwarzengelber Pirol, doch schon spie's aus dem Rachen von Hiltintrud: "Bring mir die Schwingen des vorlauten Vogels, drill ihn zum Federlass – weh dir, du mogels'! Denn massakrierst du das Vieh, dann versprech' ich dir Wonne und geb' mich dir hin unter Milchbeurens Sonne!" Keine Unbill und Wut buhlten hier um die Tat, dem frivolen Pirol seine Knochen zu brechen, mir schien adäquat, was sich Truden erbat, verbarg sich hierin doch ein schimmernd Versprechen, das sinnenschwer gleißend, Elysium verheißend, hieß mich Fräulein Florsteinens Ehre zu rächen. Schon schluckt mich dumpf der Mumpf des Waldes, ein Häher krächzt: "Halt ein, du Narr!" Und von funstren Wipfeln hallt es: "Die Deine zu werden, versprach sie zwar ... Ob sie hierzu imstande ist, wo du nicht ihres Standes bist? Ein Ungleiches wird nie zum Paar! Törichter, oh, köhre um, und schör dich einen Köhricht drum! Stör nicht des Waldes Gleichgewicht! Bleib Demut treu und üb Verzicht!" All dies Warnen schlug doch fehl, denn der Quest ward schon gestartet. Vor Zuversicht strotzend erquickt sich die Seel', vom Glücke gemästet und halbwegs entartet, grüß' ich Himmel und Höll', Fuchs und Uhugewöll, furchtlos vor dem, was im Forst mich erwartet. Das murmelnde Bächlein, die ferkelnde Bache, das Klagen der Erdkröt' und Buntspechtens Müh' – all dies verstummt jäh, als vom Rotbuchendache dringt lockrufend neckisch ein "Kreckkreck-Düülü". Sind mir Level und Land auch nur leidlich bekannt, noch vor Dämm'rung, Loriot, sei dein Leben perdu! Schon greif' ich die Borke, den Baum zu erklimmen, da pfeift der Pirol: "Ditt is' deener, Kauz, nimm'en!" Und von Mordlust beschwingt naht ein Eulentier, welches grade gelingt noch zu keulen mir. Mit Meis' auf mich der Sperber kleibt, und lärmend lercht ein Finke, ich dross' sie, bis die halbentleibten Wings sing'n Winkewinke! Auch Zaunking wie Zeisig verwandeln in Brei sich und Dutzende Bürzel verkürzt meine Linke. Mein Dolchschlund sucht die Superstars, wie auch Stieglitz und Spechtkids das Zeitliche segnen, manch Zwitscherich wird sich gewiss: "Tja, das war's! Werd' in zig Teilen niederregnen ..." Jedem Pieps im Geäst, geb' ich passend den Rest, wissend, bald schon werd' ich dem Pirole begegnen. Und da seh' ich ihn auf einer Astgabel sitzen, in den Augen ein menschlich verwurzeltes Blitzen, als ein "New Player" eingeloggt! Wer ist's, der hier als Bülow zockt? Ist es der Meister in Vogelgestalt, der Lehnsherr, dem ich gelobt' meine Treue? Der manches Mal mich meines Übermuts schalt, denn auch dem Genie drohten Missgriff und Reue? Nun, gält's darob dem Herrn, mir mein Glück zu verwehr'n, so hoffe er nicht, dass den Showdown ich scheue! Und unverwandt zieh' ich den triefenden Giftpfeil, der sich plötzlich im Set meiner Waffen befand, und wie der genau in des Bülows Brust trifft, eil' ich flugs, wohin sterbend der Vogel verschwand. Vom Wipfel des Baumes, vom Rausch jenes Raumes, Ast um Ast Richtung höhenflug-ebnendes Land. Und als ich so kletternd im Wurzelreich ankam, besah ich des Gegners verbogenen Leichnam, enthüllt von des Waldes infamer Gewalt, als Hiltintruds bloße und bleiche Gestalt. Starr im eig'nen Daunenbett, mitten blutbefleckter Kiele, ruhte sie da und verstummt war der Chat, dem ich noch gegönnt hätt' der Worte so viele. Und vor Kopf: Der Meister, ein Herold der Geister, die da schalten und walten den Gang aller Spiele. "Mit dieser Lektion sei deine Lehre beendet: Bleibe dir stets deines Standes bewusst! Ob von Liebe verwirrt, ob vom Ehrgeiz geblendet, der Griff nach den Sternen verheißt keine Lust! Oft folgt solcher Schiefe ein Sturz in die Tiefe, wie du nun selbst erleben musst! Alle Welt folgt der Spur des ewigen Laufschritts, aber dem zu entgeh'n, bleibt 'ne Frage des Auftritts: Qua Geburt war auch Trudchen nie Meisterinfantin, sondern, ähnlich wie Du, zunächst nur Praktikantin. Sie ersetzte mir schnell das verlorene Kind, doch du weißt ja, solch Updates gibt's auch beinah jährlich! Sie sah die Gefahr – wohl vor Eifersucht blind, und darüber ward sie für dich sehr gefährlich! Denn oft nannt' ich dich schon den genehmeren Sohn, des Geschick machte mir jene Tochter entbehrlich. Nur schweren Herzens ließ ich dich, den mir Teuren, an Seite dieser Schlange geh'n – den weiten Weg bis nach Milchbeuren, die letzte Prüfung zu besteh'n. Als einzigen Eingriff und Schicksales Feinschliff gab ich deinen Pfeilen die Giftstärke Zehn. Denn ohne dies wär's wohl nicht möglich geworden, den Pirol – a.k.a. Trudchen – im Kampf zu ermorden. Dir Siegreichen sei itzt die Adoption Lohn! Mein Meisterschüler, nunmehr Sohn!?" Wohl lockte mir hier ein gesichertes Glück, wohl bot es sich an mit geöffneten Armen, doch stieß ich dies Schicksal mit Kräften zurück, denn in meiner Wut war kein Platz für Erbarmen. "Das Gift, mit dem Ihr meine Power gepimpt, sei vom Bogen gezogen dem Doper bestimmt, gepfählt in den Leib Euch in Hiltintruds Namen! Denn mir obliegt's diese eine zu rächen, die hier durch unsre Komplizenschaft starb! Solch Sühne verlangt Trudens süßes Versprechen, das sie – wenn auch unredlich – mir zuvor gab. Trübt den herrlichsten Schein, nicht ganz ehrlich zu sein, hält nicht grad das Trugbild den Träumer auf Trab? Und hätt' ich all dies nie ersehnt, wie stumm wär' mir die Welt geblieben! Hab' mich doch kurz im Glück gewähnt, werd' ewiglich die eine lieben. Selbst wenn ich vor Hunger vom Schein mich ernähr', so gälte mein Groll allezeit niemals der, die eigennützig mich betörte, sondern dem, der den Traum, den ich hatte, zerstörte!" Der Meister staunt und schwankt und röchelt, das Gift sich in sein Blut einköchelt, vom Freisprechmike tropft's regenrot, ein kurzer Zuck, dann ist er tot. So besudelt das Erdreich eine weitere Schuld, türmt sich Bürde auf Bürde zum Ungeheuren, am Ende versiegt auch der Engel Geduld und Gabriel weist mir den Weg nach Milchbeuren. Dort, der Buße zur Pflicht, stellt' ich mich dem Gericht: "Wenn das Schicksal kein Recht spricht, beug' ich mich dem Euren! Zwei Morde haben stattgefunden, ausgeführt von dieser Hand!" Und ohn' Aufschub ward mir der Strick gebunden, kaum, dass man im Walde den Meister fand. Zum Urteil gereiche des alten Manns Leiche ... weil Hiltintruds Körper, nun, der blieb verschwunden. Was gölte es noch nach Vergeben zu streben, zu retten die eigene faulige Haut? Meinem sinnentleert verzehrten Leben war nicht bang vor dem Gang zum finalen Log-Out. Und als ich am Strang hang und strampelnd umherschwang, erklang lang der Jubel der gaffenden Crowd. Da sank mit Gesang auf mein Schulterblatt nieder: Ein zwitschernder Kerl im gelbschwarzen Gefieder und tiriliert mir ein Lebwohl. Rührt euch nun die Hoffnung, es passte doch gut, dies Vögelein wär' Hiltintrud? Ist das die Erlösung, nach der es euch drängt, weil ihr allzusehr am Zusammenhang hängt? Zwar entspräch's meinem Sehnen, zwar wünscht' ich es wohl, doch es war nur – und blieb auch – ein normaler Pirol. - siebzehntes Gedicht/Aufnahme 2008-2010 |