Der Pornohans und meine MitschülerInnen
In meiner Grundschulzeit, so kann ich mich erinnern, hatte ich einen Mitschüler, den nannten alle nur den Pornohans. Geringgeschätzt und abgelehnt, auf Ewigkeit zu einsamen Lernprozessen auf den hintersten Bänken verurteilt – allein das Klassenbuch behauptete, dass der Pornohans
einer von uns sei. Sicherlich, der Altersunterschied spielte ihm Arges zu,
denn mit seinen 16 Jahren und unserer kindlichen Voreingenommenheit
konnte so etwas wie ein sympathisches Miteinander einfach nicht entstehen, kratzte er auch mit den Fingernägeln – denn der Pornohans besaß
keine Filzstifte – in Schönschrift selbstgeschmiedete Verse wie »So groß
erscheint der Altersunterschied, und glaubt mir doch: Ich hab Euch lieb«
in unsere Poesiealben. Für den Pornohans war mit solchen Aktionen kein
Boden zu gewinnen. Im Gegenteil: Wir persiflierten unter selbstgefälligem
Beifall die preisgegebenen Verse und neckten den Pornohans mit derben
Zoten wie: »Hans, enorm dein Altersunterschied – wie steht’s mit dem
Fickefackeglied?« Kinder können so grausam sein. Um unserem Spott das
rechte Gesicht zu verleihen, rissen wir die vom Pornohans gestaltete Seite
aus unseren Poesiealben, zerknüllten sie und schoben uns die Papierknäuel in die Frotteeschlüpfer. »Deine Verse, lieber Hans, ziel’n doch nur auf
Fut und Schwanz«, sangen wir im Chor. Dem Pornohans aber, der nie als
rachsüchtiger oder aufbrausender Mensch in Erscheinung getreten war,
gefiel unser Gesang ob des frühlinghaften Klanges in unseren jungen
Stimmen und sanft wippte er mit dem zu groß geratenen Kopf im Takte
unserer Musik. Jaja, der Pornohans.
Vierzehn Eisportionen, denn wir waren damals vierzehn Mitschüler
an der Zahl, vierzehn Eisportionen hatte er in den Händen gehalten, als
ihn der Schulbus um- und totstieß. Da die Eltern des Pornohans schon
vor langer Zeit das Zeitliche gesegnet hatten und er auch sonst keine Angehörigen oder Freunde gehabt hätte, beschlossen wir auf Geheiß unseres
Klassenlehrers, mit den Ersparnissen unserer Klassenkasse dem Pornohans einen Grabstein zu kaufen. Letztendlich entschieden wir uns für einen sandsteinfarbenen Karton, auf welchem ein stadtbekannter Kalligraph
in dezenter Schrift die schlichten Worte geschrieben hatte: »Schade um
das Eis.« Sonst nichts.
Neulich aber, da wurde ich bei einem meiner Prostituiertengänge wieder
des Pornohans erinnert: Es kam nämlich so, dass mich etwas am Schaft
kratzte und mir die Begattung trübte. Die Ursache dessen war ein im
Schoß der Dame verborgenes Papierknäuel, welches die mir Unterliegende ganz unzweideutig als meine ehemalige Mitschülerin Gerda Minze auswies. Was war das für eine Wiedersehensfreude! Ich lud sie sodann
ein, für ein Glas Wein und ein Viertelstündchen mit auf meine Stube zu
gehen, und während meine Gattin das Papierknäuel mit einem Bügeleisen
glättete und die poetischen Versuche des Pornohans wieder der Leserlichkeit zurückführte, stießen Gerda und ich bei kleinen Snacks mit einem
Gläschen Beaujolais auf die alten Zeiten an. Ich weiß, Beaujolais – das ist
profan. Aber das niedere Volk in seiner gänzlichen Naivität lässt sich mit
solchen Tropfen doch recht preisgünstig zur Glückseligkeit abspeisen. Und
darauf kommt es doch irgendwie an. Immer. Oder?