Muckefuck
An mauen Sommerabenden trete ich ans Fenster, öffne dieses, krempele die
Ärmel meines Longsleeves bis unter die Achseln, strecke beide Arme von
mir in die Abendluft und füttere die Mücken. Zeichen setzen in Zeiten, da
Tierärzte und Latrinenlateiner den Geltungsbereich des hippokratischen
Eides auf Pferde und pferdeähnliche Domestizierungsdoofpaddelarten wie
Hund, Katz und Harzer Roller-Kanarie begrenzen, aber einem sorgsam
aus den klebrigen Fängen eines Spinnennetzes herausgetrennten Mückenflügel die Behandlung verweigern. Rassismus beginnt nicht nur im Kleinen,
er beginnt vor allem auch bei den Kleinen. Und wer ist denn heute noch
bereit, dem feingliedrigen Schwirrgetier seinen kleinen Finger mit beiden
Armen zu reichen? Wer lässt den kleinen Muck ums Stich und Stech das
Rüsselchen durch seine Epidermien drücken, bohren, picken und mit Sog
und Saug am Blute laben?
Keener. Aber mit die Scheißtölen durche Gegend, diss könn’se …
Dabei gibt es keine dankbareren Wesen als jene hochtönig sirrenden
Fluginsekten und welcher Dank manifestiert sich schon derart schnell
wie jene fröhlich juckenden Quaddeln, die sich Beule um Beule aneinanderreihen, bis selbst die findigste Mücke keine Einstechmöglichkeit
mehr auf meinen Armen findet als die, in das bereits geschwollene Stichödem eines Vorgängers hineinzustechen, dass sich Stich auf Stich türmt
zu einem quaddeligen Gebirgszug, aus dem die Kleinen bald weniger
Blut als Speichelsekret ihrer Artgenossen schlürfen und so eine Art intrakommunikativen Austausch betreiben, der die Viecher noch stechwütiger und mitteilungsbedürftiger macht und so stehe ich da in meinem
Fensterrahmen – als zweimastiger Funkturm der Mückenkommunikation Berlin-Friedrichshain.
Bis sich irgendwann meine Arme in ihrer x-fach potenzierten Schwellung derart aufgeblasen haben, dass ich sie kaum durch den Fensterrahmen hinein ins Heim zu zerren vermag, da sie sich beim Rückzug wie ein
schmusendes Zeppelinpaar ineinander verkeilen. Prall gefüllte Riesenwürste, deren Haut sich unter der Anspannung porzellanen ausfärbt und
die Aderstränge wie eingefrorene Blitze aufflammen lässt.
Und dann kratzen. Kratzen, kratzen, bis der Schmerz die Juckattacke
übertüncht. Kratzen, kratzen, kratzen, dabei auf die Uhr geguckt und:
Um 20 Uhr macht Kaiser’s dicht, bleibt nur ’ne halbe Stund! Oh.
Wenn ich mit meinen turmgroßen Armwürsten im Kassengang bei
Kaiser’s zwischen den vergitterten Zigarettenrolladenschränken entlangrattere, genieße ich es, wie die schartigen Verstrebungen des kühlen Gitters in meine juckgeplagte Haut kritzeln und werde von der verantwortlichen Kassiererin herzlich begrüßt, das »… mit den dicken Ärmchen sehe
doch allzu niedlich aus, michelinesk, ja, an die putzigen Barbarpapas« erinnernd und auch wenn ich keine Herzen sammeln würde, ihres hätte ich
auf diese Weise schon ein klein wenig gewonnen, und schwärmt so hin und
mir vor, bis dass sich aus der Warteschlange der bärbeißige Kommentar
äußert, dass der Dicke doch bitte nicht weiterhin den Kassierbereich blockieren möge und sich mein bislang unauffälliger Hintermann aufgefordert
fühlt, mir mit seinem Wagen und aller Wucht in die Hacken zu preschen,
so dass der Ruck die flüssigkeitsregulierenden Gefäße in meinen Schulterblättern jäh zerbersten lässt und der ganz fuck Mücken-Muckefuck hinauf
in meinen Kopf sprudelt, mir die Gedanken mit dem Gesabbele von tausend Mücken verwässert und ich denk’ auf einmal nur noch: Blut. Blut!
Blut!! Und betrachte die spätsommerlich verbliebenen Reste unbedeckter
Haut an meinen Mitkunden mit ganz anderen Augen. Blut!!! denke ich nur,
Blut!!!! und sage zu mir: »Also, wenn du dich jetzt nicht zusammenreißt,
steht morgen ’ne ganz fiese Geschichte in der Zeitung.«
Aber ich reiße zusammen, was zusammengerissen gehört, zahle souverän, stecke nicht benötigte Treueherzen in mein Portemonnaie und denke
noch in der Tür: »Na, für soviel Selbstbeherrschung wäre ja zumindest
mal’n bisschen Applaus drin gewesen!«
Schon gut, da muss jetzt niemand für die Kaiser’s-Kunden einspringen.
Dafür wäre es nun ohnehin zu spät, denn jetzt, da es wieder Winter wird,
öffne ich ein letztes Mal bei grell erleuchtetem Zimmer die Fenster, lasse
hineinsurren, was sich vom Lichte betört fühlt und lade die Restpopulation des Friedrichshainer Insektensommers ein, in der unter meinen Dauneninlets gespeicherten Körperwärme zu überwintern. Und dann setze
ich mich an die Kante meiner zum Gliedertierwinterquartier umfunktionierten Beischlafarena, öffne die Schleusen meiner Hirnwindungen, lasse
Muckefuck hervorsprudeln und sirre Gutenachtgeschichten.
Schlaft gut, Kinder.