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Frank Klötgen: Wie man einen Zahnarzt tötet

Wie man einen Zahnarzt tötet

„Ein paar Schmerzen werden Sie wohl aushalten?“ „Naja, umgebracht werden möchte ich ja nicht grad“. Da lacht der Zahnarzt. Hätte ja auch sagen können: „Na, ich möchte natürlich auch nicht gern umgebracht werden!“ Das hätte vielleicht die Hemmschwelle etwas höher gesetzt. Andererseits: Mir muss man nichts erzählen - ich kenne sie alle. Der 35er - Amalganfüllung, der 28er - Kunststoff-, 12 bis 22 überkront, 48, 38, 46 fehlen und so weiter und so fort. Allein der 27er oben rechts blieb schadlos inmitten dem Bohrgetöse, in der Runde der ehemals 32 kunststoff- und amalganbefleckten Kameraden vielleicht kein stolzer Held, aber doch ein Held. Doch nun, da sich der kritische Blick des Zahnarztes „Ja , jetzt noch einmal schön weit auf!“ in meinen Mund senkte und Schabehaken und Spiegelchen im Obenrechts entlangkratzten, da schwante mir, dass der letzte Schlupfwinkel aufgeflogen war. Und die pure Gier sprach aus den an die Sprechstundenhilfe zur Notiz herausgeschmetterten Worten: „27 Karies“. Nicht der 27er! Du Leuteschinder und Zähneschänder, dem 27er wirst du mitnichten deinen Stempel aufdrücken, mit dem du mir bereits Biss und Kau verrenkt hast, mit deinem Füllungsgepopele an 23 bis 26, aber wag es, den 27er auch nur zu berühren, in dem Moment, in dem Moment. Moment! Das war wohl der Moment, in dem der Gedanke zur Absicht wurde, den Zahnarzt zu töten.

Und als das Rädchen des Bohrers zu surren begann, da surrte es vielleicht wie immer, doch meine Wahrnehmung – geschärft durch das Aushecken eines Mordplans - vernahm im Surren doch deutlich die Botschaft: „Ich bin auf deiner Seite!“ Und ich verstand: Nicht die Spitze des Bohrers, die sich in bescheidener Routine und mit der Kraft von 50.000 Rössern dreht, nicht die Spitze des Bohrers fügt uns Schaden zu, Schaden und Schmerz entstehen doch nur, weil wir und unsere Zähne im Moment des Aufeinandertreffens nachgeben.

Nun wird nichts auf der Welt die mit unbändiger Kraft getriebenen 120.000 Umdrehungen des Bohrers zum Stoppen bringen, das ist klar, doch setzen wir diese Kraft als fix, wer ist da denn noch im Spiel? Auf der einen Seite die durch unzählige Kauvorgänge gestählte Panzerung des 27ers, von intriganten Zahnarztgenerationen zum „Schmelz“ herabtituliert – wohl auch um zu verbergen, wer sich denn auf der anderen Seite zum Duell mit dem 27er aufgeschwungen hat: Ein von Pseudofitnessstudiobesuchen ungestalt gebliebenes Zahnarztärmchen, das sich anmaßt, den 27er zu brechen, das sich anmaßt, den Bohrer qua Kaufbeleg als Verbündeten zu wissen. Ein Ärmchen, das nie Verbündete hatte, das in jeder Sportstunde immer als Letztes in die Mannschaften gewählt wurde. Du willst den 27er zwingen? Sag „Zahn schmelze!“ - ich schmelze nicht, nicht diesmal, sei dir gewiss, der 27er wird sich dir mit aller Härte entgegenstellen, einer Härte, die ich in ihm weiß, die Brot und Nuss zu knacken wusste, verlustfrei, all’ die Jahre, verlustfrei, Zahnarztärmchen!

Und als sich das Bohrerrädchen auf den 27er setzte, da saß es nur, ruhte auf dem Schmelz, der nicht schmolz und mit einem „Klick!“ schlug die auf dem Zahn gestoppte Kraft der 120.000 Umdrehungen zurück in den Bohrergriff und in die greifende Hand, kugelte die Zahnarztschulter mit 120.000 Umdrehungen pro Minute aus, obwohl es keine Minute brauchte, bis dass das Stromzuführungskabel des Bohrers sich x-mal um das munter rotierende Zahnarztärmchen gewickelt hatte und sich straffer zog und stramm mit Surren’n’Zurren’n’Surren’n’Zurren.... bis zum Knick in der Elle. Und Zuck! Und Zack!

Herz ist weicher als Zahn. Und man hat ja nur eines davon.

Heute sah ich in den Gelben Seiten, dass es in meinem Stadtteil 32 Zahnärzte gibt. Als ich die Liste durchsuchte, blieb ich oben rechts bei der Nummer 27 hängen und dachte „No more!“ Für morgen hab ich einen Termin mit der Nummer 16 ausgemacht.

- elfter Text/Aufnahme 2007 und früher



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